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Die unbequemen Warheiten eines Bundeswehrsoldaten

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Christian

Christian

Achim Wohlgethan war lange als Zeitsoldat der Bundeswehr in Afghanistan. Er sah Kameraden sterben und wurde in zweifelhafte Missionen geschickt. Darüber hat er ein Buch geschrieben, in dem er die Regierung anklagt: Die Bundeswehr operiere am Rande der Legalität, behauptet der Elitesoldat.

Exakt 92,04 Euro zahlt der Staat für die Gefahr. Als Zulage, jeden Tag, über Monate hinweg. Vor sechs Jahren entschied sich der Bundeswehrsoldat Achim Wohlgethan für diese 92,04 Euro. Dafür musste er nach Afghanistan. Er hielt die Gefahren für überschaubar, glaubte an die Sicherheitsmaßnahmen der Bundeswehr und meldete sich freiwillig.


FOTO: DDP
Operierte außerhalb des Mandats: Bundeswehrsoldat Achim Wohlgethan
Er flog nach Afghanistan – und war entsetzt. Er hatte nicht geahnt, wie schutzlos er und seine Kameraden den Gefahren des Terrors ausgesetzt sein würden. Er selbst wurde Zeuge von Anschlägen. Der Ex-Stabsunteroffizier sagt: „Bis heute hat sich das nicht wesentlich geändert.“ Mehr als 3000 deutsche Soldaten sind inzwischen in dem Land in Zentralasien stationiert.

"Wir fühlen uns von der Führung im Stich gelassen"

Über seine Einsätze in Afghanistan von April bis Oktober 2002 und von November 2003 bis Februar 2004 hat der ehemalige Zeitsoldat ein Buch geschrieben, „Endstation Kabul“ (Econ-Verlag). Es ist der erste Bericht aus der Innenperspektive des Bundeswehreinsatzes am Hindukusch überhaupt.

Achim Wohlgethan, 41, und sein Co-Autor Dirk Schulze, 35, ein ehemaliger Hauptmann ebenfalls mit Afghanistan-Erfahrung, greifen die Bundeswehrführung und die Regierung an: „Die Truppe vor Ort ist mit dem Einsatz gnadenlos überfordert. Wir fühlen uns von der Führung im Stich gelassen.“

Neu sind diese Vorwürfe nicht. Seit Beginn des Afghanistaneinsatzes, der mittlerweile in sein sechstes Jahr geht, begleitet Kritik an der Ausrüstung die Mission. Wer mit Soldaten vor Ort spricht, erhält regelmäßig ein ähnliches Bild wie das, das Wohlgethan und Schulze nun zeichnen.

Die Klagen reichen von schlechtem Schuhwerk bis zu fehlenden geschützten Fahrzeugen. Oft mangelt es an Kleinigkeiten, die das Leben angenehmer machen, manchmal auch an Notwendigem, das Leben retten könnte. Wohlgethan spricht für viele. Auch das gibt seinen Worten Gewicht.

Die meisten Bundeswehrsoldaten in Afghanistan kennen keine Gefahr

Die meisten deutschen Soldaten, die heute in Afghanistan Dienst schieben, kommen allerdings nicht in ähnlich gefährliche Situationen wie er. Das Gros der Militärs verlässt die deutschen Lager nur zwei Mal in ihrem viermonatigen Aufenthalt – nach der Ankunft und vor dem Abflug.

Zudem stammt der Bericht aus der Anfangszeit der deutschen Mission. Heute sind die provisorischen Feldlager wahren Kleinstädten gewichen. In Camp Marmal, dem größten Lager der Deutschen im Norden Afghanistans, gibt es neben Kirche und Baumschule eine Mensa für Hunderte von Soldaten und Feldjägern, die Geschwindigkeitsüberschreitungen mit dem Radargerät blitzen.

Zu Beginn des Einsatzes war dies anders. Noch immer macht Wohlgethan fassungslos, dass die Bundeswehrsoldaten anfangs mit zivilen Charterbussen vom Flughafen Kabul zum Camp Warehouse gekarrt wurden, bis sich am 7. Juni 2003 ein Selbstmordattentäter vor so einem Bus in die Luft sprengte und dabei vier Soldaten mit in den Tod riss und 29 ihrer Kameraden verletzte.

„Erst danach änderte die Bundeswehr ihre Taktik und setzte gepanzerte Fahrzeuge ein“, schreibt er und fügt hinzu: „Wer auch immer für die Entscheidung verantwortlich war, den Terroristen so unbekümmert ein Ziel anzubieten und gegen jegliche militärische Grundsätze zu handeln – ich hoffe inständig, dass er mit der Schuld leben kann und niemals den Müttern dieser Kameraden begegnen wird.“

Achim Wohlgethan nippt entspannt an seinem Kaffee. Die Wut seiner Zeilen ist ihm nicht anzusehen. Er trägt einen Kapuzenpulli, darüber eine Fleecejacke. Eine verwaschene Baseballkappe verdeckt seinen kahl rasierten Schädel. Der Ex-Soldat zeigt sich bewusst in der Rolle des Privatmanns. Äußerlich scheint das Kapitel Bundeswehr längst Vergangenheit zu sein.

Im Innern kämpft er mit sich. Er weiß, dass sein Buch in der Truppe für Unruhe sorgen wird und dass er darin mehr erzählt, als so manchem seiner ehemaligen Vorgesetzten und Dienstherrn lieb sein mag. Er beteuert trotzdem: „Ich will niemanden anklagen.“ Und dennoch liest sich „Endstation Kabul“ wie eine Anklageschrift.

Die Berichte über neue Brunnen und Straßen ist Wohlgethan leid

Die Berichte der Bundeswehr über neu gebaute Brunnen und eingeweihte Straßen in Afghanistan ist er endgültig leid, all diese Geschichten über die Soldaten als Entwicklungshelfer in Uniform. Die Deutschen sind in einem Krieg gelandet und wollen es nicht wahrhaben.

„Ich würde mir wünschen, dass Soldaten sich zu Wort melden und erzählen, wie die Realität in dem Land wirklich aussieht. Wir müssen diese Diskussion anstoßen. Es wird dort doch immer schlimmer.“ Immer schlimmer ist es vor allem um die Sicherheit der Truppe vor Ort bestellt, findet Wohlgethan.


„Die deutschen Soldaten sind gut ausgebildet“, sagt er, „aber andere Armeen sind sicherheitstechnisch weitaus moderner ausgestattet und erfahrener.“ Außerhalb der Camps seien die Gefahren unüberschaubar geworden. Auch die fehlenden Evakuierungsmöglichkeiten, die 2002 schon das deutsche Kontingent beschäftigt hätten, seien heute genauso problematisch wie am Anfang.


Der eigentliche Anfang war genau genommen der 11. September 2001. Da schob der Fallschirmjäger der Luftlandebrigade 31 Wachdienst in der Oldenburger Henning-von-Tresckow-Kaserne. Der Fernseher lief, und er sah in Echtzeit die einstürzenden Zwillingstürme des World Trade Centers in New York.


Während sich die Nachrichten an jenem Dienstag überschlugen, schwante Wohlgethan und seinen Kollegen: Früher oder später würde es auf diese Anschläge eine militärische Antwort geben, vielleicht auch mit deutschem Engagement und dann wohl unter Beteiligung seiner Brigade, die zur Division Spezielle Einheiten gehörte. Achim Wohlgethan erinnert sich: „Uns war klar, dass wir dann die deutsche Speerspitze wären, zu welcher Maßnahme auch immer es kommen würde.“


Sieben Monate später betrat er zum ersten Mal afghanischen Boden. Der Bundestag hatte noch vor Weihnachten 2001 das Mandat für die deutsche Beteiligung am Einsatz der ISAF (International Security Assistance Force) erteilt, und Wohlgethan war nun Teil der Operation Enduring Freedom im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

Er war motiviert bis in die Zehenspitzen. Es sei ihm um die Herausforderung gegangen, sagt Wohlgethan, um den Einsatz, um die Anwendung der erworbenen Fähigkeiten. Wozu sei er sonst Soldat geworden?

Offiziell definierte Aufgaben spielten für Vorgesetze keine Rolle

Offiziell hatte die Bundeswehr Wohlgethan als Stabsdienstsoldat und Kraftfahrer in die afghanische Hauptstadt kommandiert. Doch mit dem vorher offiziell definierten Aufgabengebiet hätten es die leitenden Offiziere in Afghanistan nicht so genau genommen, sagt der Ex-Stabsunteroffizier heute.


Er selbst habe mindestens ein Dutzend Mal außerhalb der sogenannten Area of Responsibility (Verantwortungsgebiet) operiert – meist auf Anweisung eines Bundeswehrmajors der Abteilung J2, die bei der ISAF für militärisches Nachrichtenwesen zuständig war.


Er sei an der Seite der niederländischen „Korps Commandotroepen“ (KCT) zu Spezialeinsätzen abkommandiert worden und auch für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) in Kabul gegen angebliche Waffenhändler und Labors vorgegangen, obwohl der Geheimdienst 2002 noch gar keine entsprechende gesetzliche Befugnisse dazu im Ausland hatte. Auch heute darf er im Ausland nur in den Lagern der Bundeswehr operieren.


Es sind diese Details aus dem Alltag des Isaf-Einsatzes, die in dieser Form erstmals an die Öffentlichkeit gelangen. Nun beschäftigen sie auch das Verteidigungsministerium. Die Militärs prüfen, was an den Vorwürfen dran ist. Kommende Woche steht das Thema im Verteidigungsausschuss des Bundestages auf der Tagesordnung.

Es geht nicht nur um Kritik an der Bundeswehr

Eine solche Wirkung hatte Wohlgethan sich von seinem Buch erhofft. Dabei ging es ihm nicht nur um Kritik an der Bundeswehr, auch seine eigene Hilflosigkeit spart er nicht aus. Bis heute überkommt ihn die Angst, wenn er über freie Rasenflächen und offene Wiesen gehen soll – „wegen der Minengefahr“. Glaubhaft schildert Wohlgethan, mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfen hatte, als er nach den Monaten in Afghanistan nach Deutschland zurückkehrte. Hilfe gab es damals kaum.

Noch stand die posttraumatische Belastungsstörung, unter der heute viele Soldaten nach ihren Einsätzen leiden, nicht weit oben auf den Behandlungsplänen der Militärärzte.

Achim Wohlgethan wäre gern Berufssoldat geworden. Dann wäre er heute noch in der Bundeswehr, vielleicht auch gerade in Afghanistan. Aber als sich der Zeitsoldat um die Entfristung seines Engagements bewarb, war er schon zu alt. Er schied im Januar 2006 aus der Bundeswehr aus. Heute lebt er in Wolfsburg und arbeitet als selbstständiger Sicherheitsberater.

Sein Buch hat er all jenen Soldaten gewidmet, die in Auslandseinsätzen wie in Afghanistan ihr Leben riskieren. So wie er damals für 92,04 Euro extra am Tag.

Die unbequemen Warheiten eines Bundeswehrsoldaten  Fsl_wohlgethan_2_DW_480386p

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